Montag, 17. November 2014

Warum ich manchmal gerne Ausländer wäre


Über die Erfahrung nicht cool und beherrscht, sondern verkopft und verklemmt zu sein.

Ich war einmal vor vielen Jahren als Teenie in Jezera, einem gottverlassenen Kaff auf einer Insel in einer Gegend, die man früher Jugoslawien nannte. Besagtes Jezera ist eine Mischung aus Hafen, kleiner Marina und Fischer-Dorf. Als ich gerade dort war, feierten die Einwohner ein Fischerfest, oder jedenfalls etwas in der Art. Zwei Open-air Bands spielten dazu auf. Die eine plärrte Schlagerlärm und die andere hielt mit Volksmusik - oder dem was sie dafür hielten - aus ihren überlasteten Verstärkern dagegen.

Jezera ist einer dieser hinterletzten Orte, an die sich nur wenige Touristen verirren. 

Etwa acht Grills, auf denen jede Menge totes Tier brutzelte, verbreiteten beißenden Rauch, der nach Fisch, verbranntem Fett und Teer roch. Wohl fühlte ich mich in diesem Inferno nicht gerade. Nachdem ich mir mit etwas Gegrilltem den Magen verdorben hatte, lief ich zu einer abgelegenen Pinte oder besser: ausgebauten Imbissbude, die ich ein paar Tage zuvor entdeckt hatte. Dort dudelte, überraschend leise, Bruce Springsteen aus den Lautsprechern. Caipirinha gab es keinen und so legte ich mich mit einer Cola und meinen Zigaretten auf den Kai - so genoss ich den Sternenhimmel, meine Ruhe und ausnahmsweise sogar Bruce Springsteen. Keine 20 Minuten war ich allein, als die ersten einheimischen, hochgradig pubertierenden Jugendlichen eintrafen und für Action sorgten. Die Mädchen kreischten und die Jungs schossen Seenotsignale auf die Sterne.

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Das Geschehen verlagerte sich zu einer der Bands, die inzwischen entartete Popmusik spielte. 

Die Nacht arbeitete sich ihrem Höhepunkt entgegen und Väter, Mütter und Kinder mit ihren Omas und Opas ließen mal richtig die Sau raus. Derart enthemmte Menschen, die wie wild umhertanzen, johlen, lachen und randalieren sind mir bis dato noch nie begegnet. Plötzlich packte mich eine unbändige Lust in das heillose Chaos zu stürzen und mich an dem Wahnsinn zu beteiligen.

Unmöglich. Innerlich blockiert. 

Meine Existenz ist wohl viel zu reflektiert oder weniger euphemistisch gesagt: dazu war ich einfach zu gehemmt. Ich konnte nicht mitmachen, so sehr ich auch wollte. Es war eine erstaunliche Erfahrung festzustellen, dass ich also nicht cool und beherrscht bin, wie ich bis dato zu meinen Gunsten angenommen hatte, sondern eher verkopft und verklemmt. Gut, das ist ein anderes Land gewesen und in einem anderen Land leben andere Menschen und andere Menschen haben eine andere Mentalität, aber warum habe ich dann ausgerechnet so eine?

Manchmal wäre ich lieber anders. Ausländer.

Als ich neulich bei Freunden war, entdeckte ich einen Globus in einer der Ecken des Wohnzimmers. Keine überraschende Erkenntnis: geographisch gesehen ist Deutschland, trotz Wiedervereinigung, auf dem Globus kaum zu entdecken. Beachte: In diesem Teil der Erde ist es suspekt wenn, frei nach Erich Kästner, auf der Straße ein fröhlich singender Mensch vorbeiläuft.

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